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Fragen und Antworten

Mündlichen Fragen Nrn. 1640, 1641 und 1642

14. März 2024 – Fragen von L. Scholzen, S. Pauels und A. Jerusalem an Ministerin KLINKENBERG zur Reform der Lehrergrundausbildung

Die nachfolgend veröffentlichte Frage und die Antwort entsprechen den hinterlegten Originalfassungen. Die endgültige Version ist im Bulletin für Interpellationen und Fragen (BIF) veröffentlicht. 
 
Frage von Liesa Scholzen (ProDG) zur Reform der Lehrergrundausbildung:
 
In Rahmen einer Pressekonferenz wurde die Reform der Lehrergrundausbildung offiziell vorgestellt und die Verlängerung des Studiums von 3 auf 4 Jahre bekannt gegeben. 
Ziel ist es, die angehenden Lehrer und Lehrerinnen noch besser auf den schulischen Alltag vorzubereiten, indem unter anderem die Praktika einen höheren Anteil an der Gesamtstudienzeit ausmachen sollen (240 ECTS statt wie bisher 60). Wachsende Heterogenität und Schule als Spiegel gesellschaftlicher Entwicklungen und Herausforderungen wurden zum Anlass genommen, die Grundausbildung zu überarbeiten und zusätzliche Kompetenzen zu vermitteln. Beispielhaft wurden Strategien zur Zeit- und Arbeitseinteilung oder der Umgang mit Stress genannt oder auch den verstärkten Fokus auf den Bereich Französisch. Im Ausschuss haben wir auch schon diskutiert, dass die Zusatzausbildung im Bereich der Förderpädagogik integriert werden soll. Das ist eine positive Entwicklung! 
 
Wir befinden uns in einer Situation, in der Lehrermangel herrscht und deshalb wurden immer wieder Schritte unternommen, um den Lehrerberuf attraktiver zu gestalten. Gleichzeitig wachsen die Herausforderungen an den Lehrerberuf und der Bedarf eine Anpassung der Studiendauer vorzunehmen hat sich bereits abgezeichnet. 
 
 
Die Steigerung der Attraktivität und der Bedarf einer Verlängerung ist in gewisser Weise ein Dilemma und vor diesem Hintergrund habe ich folgende Fragen: 
1. Auf Basis welcher Empfehlungen/Vorarbeit wurde die Entscheidung getroffen, dass Studium zu verlängern? 
2. Welchen Zeitplan strebt die Regierung an, um die weitere Ausgestaltung des Studiums zu definieren?
 
 
Frage von Stephanie Pauels (CSP) zur Verlängerung der Studiendauer des Lehramtstudiums:
 
In Ihrer Antwort auf meine Frage zu den Besoldungsauswirkungen der verlängerten Studiendauer im Bildungswesen in der FWB und der in der vergangenen Woche stattgefunden Pressekonferenz der Regierung und der AHS konnte entnommen werden, dass die Lehrergrundausbildung für Primarschullehrer und Kindergärtner ab September 2025 um ein Jahr verlängert werden und demnach künftig vier Jahre dauern wird.
 
Leitmotiv der Reform ist die gewandelte Arbeitsrealität und die gestiegene Komplexität des Lehrerberufs. Daher wird die refomierte Lehrergrundausbildung vermehrt auf Praktika setzen. Darüber hinaus konnte der Presseberichterstattung entnommen werden, dass es sich nicht um eine bloße Verlängerung handle, sondern infolge des sich verändernden Kompetenzprofils von Lehrpersonen insgesamt elf Kompetenzbereiche erarbeitet worden seien, um künftiges Lehrpersonal zu schulen. 
 
Während ein vierjähriges Lehramtstudium in der Deutschsprachigen Gemeinschaft künftig zu einem Bachelordiplom führt, wird eine ebenfalls vierjährige Lehramtgrundausbildung in der Französischen Gemeinschaft hingegen mit einem Masterabschluss belohnt. 
Da im Unterrichtswesen die Besoldung nach Diplom gilt, droht künftig ein erhebliches Gehaltsgefälle zwischen im Grunde gleich lang ausgebildeten Lehrkräften. 
 
Dazu meine Fragen: 
1. Worum genau handelt es sich bei den elf erarbeiteten Kompetenzbereichen? 
2. Wird die inhaltliche Aufwertung und die verlängerte Dauer des Studiengangs mit einem höheren Gehalt belohnt? 
3. Wie bewertet die Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft den Umstand, dass in der Französischen Gemeinschaft für die gleiche Lehramt-Studiendauer ein Masterdiplom verliehen wird, in der Deutschsprachigen Gemeinschaft jedoch nur ein Bachelordiplom? 
 
Frage von Andreas Jerusalem (Ecolo) zur Anpassung der Gehaltstabellen im Zuge der Reform der Lehrergrundausbildung:
 
In der Kontrollsitzung im Februar deuteten Sie an, mit der Gehaltsfrage im Unterrichtswesen würden Sie sich “in Analogie” zur Neuausrichtung der Lehrergrundausbildung befassen. Wie ich schon mehrfach ausgeführt habe, ist der Gehaltsunterschied zwischen Bachelor- und Master-Absolventen in unseren Augen deutlich zu groß. 
 
In Zahlen: 
Die Gehaltssteigerung zwischen Personen ohne Diplom oder mit mittlerer Reife und Personen mit Abitur oder Meisterbrief beträgt +9.18 %, also etwa 350 €  brutto im Monat.
Die Gehaltssteigerung zwischen Personen mit Abitur oder Meisterbrief und Personen mit Bachelor oder Graduat beträgt +8.24 %, also etwa 343 € brutto im Monat.
Die Gehaltssteigerung zwischen Personen mit Bachelor oder Graduat und Personen mit Master-Abschluss oder Lizenz beträgt +28.74 %, also etwa 1296 € brutto im Monat.
 
Wenn die Studiendauer für das Bachelorstudium erhöht wird, sinkt der Reiz rein mathematisch und logisch, sich dem Studium zu widmen. Das Studium wird verlängert, das Gehalt bleibt aber gleich. Wir haben Ähnliches bei der Krankenpflege gesehen. 
 
Ich hätte es sinnvoll gefunden, wenn der Zeitpunkt für eine Neuorganisation der Gehälter kommunikativ mit der Verlängerung des Studiums verknüpft worden wäre. Zum Beispiel: “Das Grundstudium wird verlängert, aber auch das Gehalt soll ein wenig steigen.”
 
Das ist nicht passiert, könnte aber in einem nächsten Schritt getan werden - zum Beispiel heute. 
 
Es ist mir außerordentlich wichtig zu unterstreichen, dass Lehrpersonen ihren Beruf in aller Regel nicht des Geldes wegen ergreifen. Ich möchte aber auch unterstreichen, dass sie nicht blind sind. Außerdem haben sie ein ausgeprägtes Gerechtigkeitsgefühl. Daher empfinden zahlreiche Lehrpersonen diese Situation auch als störend. Das führt zu Frust. Und der spricht sich rund. 
 
Daher habe ich folgende Fragen, Frau Ministerin: 
1. In welcher Weise könnten im Zug der Neuausrichtung des Lehrerstudiums Anpassungen an den Gehaltstabellen im Unterrichtswesen vorgenommen werden?
2. Wie würden Sie die Gehaltstabellen anpassen, sollten Sie auch in der kommenden Legislaturperiode Unterrichtsministerin sein?
 
 
Antwort von Lydia Klinkenberg (ProDG), Ministerin für Unterricht, Ausbildung, Kinderbetreuung und Erwachsenenbildung:
 
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
 
die Entscheidung zur Reform und Verlängerung der Lehrergrundausbildung fußt auf einem Prozess, der bereits zu Beginn der Legislaturperiode 2014-2019 begonnen hat. Im Regionalen Entwicklungskonzept stand bereits 2014, dass den gestiegenen Anforderungen durch eine Ausweitung der Grundausbildung Rechnung getragen werden muss. Die Autonome Hochschule Ostbelgien entwickelte 2017 ein Zukunftspapier, das die gestiegenen Erwartungen, die notwendigen Kompetenzen und die entsprechenden Konsequenzen für die Grundausbildung beschrieb. Im März 2019 gewährte die Regierung der AHS eine Referentenstelle, um die Neuausrichtung zu koordinieren. Dabei wurden umfangreiche Recherchen zur Lehrergrundausbildung im internationalen Vergleich getätigt, um evidenzbasierte Qualitätskriterien und Empfehlungen für Modelle einer reformierten Grundausbildung zu erarbeiten. 
 
Diese Vorarbeit wurde anschließend in den zwei Gremien, die sich mit der Reform der Grundschullehrerausbildung befassen, diskutiert. Das ist zum einen die Arbeitsgruppe, bestehend aus ostbelgischen Bildungsakteuren, darunter Schulleitungen, Lehrpersonen, Kaleido, Gewerkschaftsvertreter, und zum anderen die Steuergruppe, die sich aus Experten der Lehrerausbildung in Belgien, Deutschland und der Schweiz zusammensetzt. Ausgehend von der Recherchearbeit zur Lehrerausbildung und den Rückmeldungen und Empfehlungen der verschiedenen Gremien wurde im Juni 2023 das Rahmenmodell des vierjährigen Bachelors fixiert. Seitdem wird an der inhaltlichen Ausgestaltung des Studiums gearbeitet, dazu gehören die Praxisphasen, die Berufseinstiegsphase und inhaltliche Schwerpunkte. Auch diese Arbeit wird durch die AHS koordiniert. Bei jedem Thema bildet der aktuelle Forschungsstand den Ausgangspunkt des Austauschs zwischen der AHS, der Arbeitsgruppe, der Steuergruppe und den Mitarbeitern aus Ministerium und Kabinett. Es ist ein zentrales Anliegen, diese wichtige Reform auf aktuellen Erkenntnissen und Entwicklungen der Forschung zur Professionalisierung von Lehrerinnen und Lehrern zu fußen, wobei unser euregionaler Kontext ebenfalls berücksichtigt wird. 
 
Der Start in das reformierte Studium ist für September 2025 geplant. Zur inhaltlichen und formalen Konzeption des Studiums, die zurzeit läuft, finden im März und April weitere Steuer- und Arbeitsgruppentreffen statt. Das Gerüst des gesamten Studiums wird voraussichtlich nach dem Sommer fertiggestellt sein. Parallel zur inhaltlichen und formalen Konzeption erfolgen Überlegungen zur Gewährleistung einer qualitativ hochwertigen Praxisbegleitung. 
 
Der internationale Vergleich von 36 OECD-Staaten und ihrer Partnerstaaten zeigt, dass Belgien mit einer dreijährigen Grundausbildung für die Primarstufe mit Kolumbien, der Schweiz, Neuseeland und Costa Rica zu den wenigen Staaten zählt, in denen die Grundausbildung drei Jahre oder weniger beträgt. Die Mehrheit der untersuchten Staaten bieten eine vierjährige Grundausbildung an, einige Staaten bilden ihre Primarschullehrpersonen in fünf Jahren aus. Fachkräfte für den Kindergarten werden zwischen zwei und fünf Jahren ausgebildet. 
 
Laut Forschungsstand kommt es weniger auf die Länge oder das Niveau des Studiums als vielmehr auf die Ausgestaltung der Ausbildung an. Zahlreiche Studien der empirischen Bildungsforschung belegen, dass die professionelle Kompetenz von Lehrkräften als eine zentrale Voraussetzung für gelingende Lehr-Lern-Prozesse im Unterricht und damit für den schulischen Erfolg von Schülerinnen und Schülern gilt. Die Reform und Verlängerung des Studiums hat eben jene Steigerung der professionellen Kompetenzen zum Ziel. 
 
Die zeitliche Verlängerung des Bachelorstudiums um zwei Semester stellt dem Studium zusätzliche zeitliche Ressourcen im Umfang von 60 ECTS zur Verfügung, was für die Vorbereitung der Studierenden auf die zunehmenden Anforderungen ihres Berufes dienlich ist. Die reformierte Ausbildung zielt unter anderem auf eine verbesserte Verbindung von berufspraktischen und akademischen Ausbildungsinhalten, die Befähigung für ein möglichst breites Fächerspektrum und die vertiefte Vermittlung von Inhalten und Kompetenzen im Bereich Förderpädagogik und Fremdsprachendidaktik ab. 
Die ständige wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz, zusammengesetzt aus zahlreichen Experten des Bildungsbereiches, stellte kürzlich in einem Gutachten Empfehlungen für die Lehrerausbildung auf, beispielsweise ein kohärentes Curriculum über die Grundausbildung sowie die Berufseinstiegsphase zu entwickeln, das die spezifischen Potenziale der Phasen nutzt und einen kumulativen Kompetenzaufbau ermöglicht. In diesem Sinne wurden im Rahmen der Reform der Grundschullehrerausbildung in Ostbelgien die Theorie-Praxis-Verzahnung und Mentorenqualifizierung als zentrale Elemente der Weiterentwicklung der Lehrerausbildung formuliert. 
 
Die Verlängerung des Grundschullehrerstudiums um ein Jahr führt dazu, dass ein Jahr keine neuen Grundschullehrer diplomiert werden. Längerfristig und vor allen Dingen für die zukünftigen Lehrerinnen und Lehrer selbst kann jedoch davon ausgegangen werden, dass sich diese Verlängerung positiv auf den Erwerb ihrer professionellen Kompetenzen auswirkt und die Attraktivität des Studiums somit steigt. Letztlich ermöglicht die Reformierung der Ausbildung, dass die Studierenden mehr Praxiserfahrung sammeln; dass sie mehr Zeit erhalten, um die erforderlichen professionellen Kompetenzen zu erwerben; und dass sie enger beim Übergang vom Studium in den Beruf begleitet werden.
 
Jegliche Verlängerung des Studiums verbessert die strukturellen Rahmenbedingungen und unterstützt den Auftrag, dass Grundschullehrpersonen auch in Zukunft über die erforderlichen Kompetenzen verfügen, um den an sie gerichteten Erwartungen gerecht zu werden und ihren gesellschaftlichen Berufsauftrag in hoher Qualität zu erfüllen.
 
In der Steuergruppe, die das Modell des vierjährigen Bachelor gutgeheißen hat, sind übrigens auch Vertreter von Hochschulen und Universitäten aus der Französischen Gemeinschaft vertreten, die an der Reform des Lehramtsstudiums in der Französischen Gemeinschaft maßgeblich beteiligt waren, aus den Erfahrungen in der Französischen Gemeinschaft gelernt haben und ihre Erkenntnisse aus diesem Prozess gewinnbringend in die Fixierung des Modells für die Deutschsprachige Gemeinschaft und die inhaltliche Gestaltung des Studiengangs eingebracht haben und weiter einbringen.
 
Natürlich planen wir eine solche Reform nicht, ohne die Gehaltsfrage mitzudenken. 
In der Vergangenheit habe ich bereits mehrfach meinen Willen bekundet, das Gehaltsgefüge in Bezug auf die Bachelorgehälter zu überdenken. Geplant ist, dass wir alle Bachelorgehälter anheben und zwar 2029, also in dem Jahr, in dem die ersten Absolventen der reformierten Ausbildung diplomiert werden.
 
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass die Tatsache, dass in der Französischen Gemeinschaft für die gleiche Studiendauer ein Master verliehen wird, nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass die Ausbildung dort über die vier Jahre hinweg von den Hochschulen in Kooperation mit den Universitäten organisiert wird.
 
Auch möchte ich darauf hinweisen, dass die Französische Gemeinschaft zwar beschlossen hat, das Grundschullehrerstudium um ein Jahr zu verlängern und einen Mastertitel zu verleihen, dass aufgrund der finanziellen Situation in der Französischen Gemeinschaft jedoch immer noch nicht klar ist, ob es zu einem Zwischenbarema für die Absolventen dieses einjährigen Masters in der Französischen Gemeinschaft kommen wird und wenn ja, wie hoch dieses ausfallen wird. Ob angesichts der Anhebung der Bachelorgehälter in der Deutschsprachigen Gemeinschaft überhaupt ein signifikanter Gehaltsunterschied existieren wird zwischen den Primarschullehrern, die die reformierte Ausbildung in der DG absolvieren und hier arbeiten, und jenen, die in der Französischen Gemeinschaft studieren und arbeiten, ist daher fraglich. 
 
Parallel zur Reform der Grundschullehrerausbildung hat die AHS auf Basis von Rückmeldungen von ostbelgischen Bildungsakteuren und der internationalen Lehrerbildungsforschung ein aktualisiertes Kompetenzprofil entwickelt, das in elf Bereichen die erforderlichen Kompetenzen von Primarschullehrern und Kindergärtnern beschreibt.
Die OECD hat in ihrer Studie zum ostbelgischen Bildungssystem empfohlen, dass wir Standards für den Lehrerberuf ausarbeiten sollen, die in enger Verbindung mit den Rahmenplänen und dem Dienstauftrag an das Personalmitglied stehen, verbindlich Anwendung finden und über die Erstausbildung hinausgehen. Diese allgemeinen Lehrerstandards sollen in direktem Bezug zur Lehrererstausbildung und Lehrerweiterbildung stehen. Sie sollen die Kompetenzen, Haltung und professionelle Weiterentwicklung definieren, die zur Ausübung des Berufs erforderlich sind, und sollen als Rahmen für die weitere Professionalisierung der Lehrenden während der gesamten Laufbahn dienen. Solche Lehrerstandards gehen also über das von der AHS entwickelte Kompetenzprofil hinaus. Das Kompetenzprofil der AHS, das eine gute Basis für die Entwicklung besagter Lehrerstandards darstellt, wird im Laufe dieses Prozesses sicher weiterentwickelt werden müssen, so zum Beispiel im Hinblick auf die immer wichtiger werdenden digitalen und Medienkompetenzen.
 
 
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
 
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