Mündliche Frage Nr. 1281
Wie ist Ihre aktuelle Haltung bezüglich Schnupperwochen, bei denen die Schnupperer nur zuschauen und nicht aktiv mitarbeiten können?
Die nachfolgend veröffentlichte Frage und die Antwort entsprechen den hinterlegten Originalfassungen. Die endgültige Version ist im Bulletin für Interpellationen und Fragen (BIF) veröffentlicht.
Frage von Alain Mertes (Vivant):
Die Schnupperwochen in der Deutschsprachigen Gemeinschaft sind seit nun 30 Jahren eine große Erfolgsgeschichte für das IAWM und unsere Region. Sie sind sehr beliebt bei den Jugendlichen, welche mit dem Einstieg in eine Lehre liebäugeln, aber auch viele hiesige Selbständigen und Betriebe stehen diesem Instrument generell sehr offen gegenüber. In diesem Jahr gibt es jedoch bei den Schnupperwochen eine einschneidende Veränderung.
In einem Schreiben vom 17. Februar 2023 an die ostbelgischen Ausbildungsbetriebe informierte das IAWM über wesentliche Neuerungen nach der FEDRIS-Reform von 2020, ich zitiere:
„2020 hat die föderale Agentur Fedris eine Reform vorgenommen, sodass die so genannten „kleinen Statute“ nun auch der gesetzlichen Arbeitsunfallversicherung unterliegen. In ihrem bisherigen Format würden die Schnupperwochen also jetzt in diesen Anwendungsbereich fallen und daher müssen folgende Voraussetzungen im Vorfeld erfüllt sein, damit Jugendliche und junge Erwachsene im Rahmen der Schnupperwochen noch aktiv mitarbeiten dürfen:
- Durchführung einer Risikoanalyse;
- Durchführung einer medizinischen Untersuchung vor Beginn des Praktikums;
- Durchführung einer (vereinfachten) DIMONA-Erklärung;
- Abschluss einer gesetzlichen Arbeitsunfallversicherung;
- Abschluss eines Praktikumsvertrages
Trotz intensiver Bemühungen [...] stellt die Einhaltung der oben erwähnten administrativen Vorgänge, die in der föderalen Gesetzgebung vorgegeben sind, kurzfristig eine unüberwindbare Hürde dar. Laut juristischer Gutachten dürfen die Schnupperer demnach im Rahmen der vom IAWM organisierten Schnupperwochen aktuell nicht mehr aktiv mitarbeiten." Zitat Ende.
Das Besondere an den Schnupperwochen war, dass Jugendliche, die sich für einen Beruf interessieren, dessen Alltag ohne großen bürokratischen Aufwand für die Betriebe, durch Mitarbeit hautnah kennenlernen konnten. Nicht selten wurde aus dem Schnupperer ein Lehrling. Einer, der eine Ahnung davon hatte, welchen Beruf er da anstrebt und die Lehre seltener deswegen abbricht, weil er sich den gewählten Beruf ganz anders vorgestellt hatte.
Einige seit Jahren teilnehmenden Betriebe reagierten sehr verärgert auf diese Neuerungen. In meinen Augen durchaus nachvollziehbar, denn Schnuppern in rein beobachtender Form, gänzlich ohne Mitarbeit, macht keinen Sinn.
Die Verantwortung für diese Änderungen liegt weder beim IAWM noch bei der Regierung der Deutschsprachigen Gemeinschaft. Die föderale Agentur Fedris hatte diese Reform, auf föderaler Ebene beschlossen. Da die Reform aber bereits im Jahr 2020 vorgenommen wurde, wäre da nicht eigentlich genug Zeit vorhanden gewesen, um alle negativen Folgen zu beseitigen?
Die Gefahr besteht, dass in diesem Jahr weniger Betriebe interessierte Schnupperer aufnehmen werden, da sie die Sinnhaftigkeit in dieser Form nicht erkennen können.
Langfristig könnte die wundervolle Idee der Schnupperwochen insgesamt in Gefahr sein, wenn hier nicht zeitnah eine Lösung gefunden wird.
Dieser Fall zeigt deutlich auf, wie vermehrte Bürokratie und gesetzliche Reformen eine einfache und gute Idee torpedieren können. Dem Fachkräftemangel wirken wir so jedenfalls nicht entgegen. Im Gegenteil, sie drohen eher ihn zu verstärken!
In diesem Zusammenhang lauten meine Fragen an Sie, Frau Klinkenberg, wie folgt:
1. Wie ist Ihre aktuelle Haltung bezüglich Schnupperwochen, bei denen die Schnupperer nur zuschauen und nicht aktiv mitarbeiten können?
2. Kennen Sie die Hintergründe, welche die föderale Agentur FEDRIS dazu bewegt hat, diese Reform im Jahr 2020 durchzuführen? Bitte erläutern sie diese.
3. Was wird die DG in dieser Angelegenheit tun, um Abhilfe zu schaffen?
Antwort von Lydia Klinkenberg (ProDG), Ministerin für Unterricht, Ausbildung, Kinderbetreuung und Erwachsenenbildung:
Sehr geehrte Frau Vorsitzende,
sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen,
lassen Sie es mich gleich und in aller Deutlichkeit sagen: Dass bei den Schnupperwochen nicht mehr die Möglichkeit besteht, aktiv mitzuarbeiten, bedaure ich sehr. Wie Sie richtig feststellten, waren die Schnupperwochen in den letzten Jahrzehnten ein sehr bedeutendes Instrument, um die Schüler in Kontakt mit der Arbeitswelt zu bringen. Diese Möglichkeit soll auch in Zukunft weiter bestehen. Ich lade an dieser Stelle alle Unternehmen ein, - trotz der ungewohnten und sicherlich weitaus weniger ansprechenden Form des Schnuppern durch Beobachtung - die Türe ihres Unternehmens für Schnupperer zu öffnen.
Die Änderungen, die am 1. Januar 2020 in Kraft traten, basieren auf dem Gesetz vom 21. Dezember 2018 über verschiedene Bestimmungen im sozialen Bereich. Hierbei wurden die sogenannten „kleinen Statute“, zu denen auch Praktika zählen, in die Gesetzgebung zu den Arbeitsunfällen hinzugefügt. Dies bedeutet, dass auch diese Statute eine verpflichtende gesetzliche Unfallversicherung erfordern. Ziel dieser Änderung war es, dass auch Praktikanten einen mit Arbeitnehmern vergleichbaren Schutz erhalten.
Wenngleich die Absicht sicher löblich war, wirkt sich diese Maßnahme leider negativ auf so sinnvolle Initiativen wie die Schnuppertage aus. Das ist extrem ärgerlich.
Ich habe den föderalen Arbeitsminister deshalb bereits per Brief darauf hingewiesen, dass diese Neuerungen wichtige Maßnahmen zur beruflichen Orientierung unserer Schüler – wie die Schnupperwochen und schulische Praktika – gefährden und dass der verwaltungstechnische Aufwand für Schulen unverhältnismäßig hoch ist. Ich habe ihn gebeten, diese Entscheidung für den schulischen Kontext zu überdenken und ihm unter anderem den Vorschlag unterbreitet, die schulärztlichen Untersuchungen als medizinische Untersuchung vor dem Praktikum gelten zu lassen.
Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.